Rückblick:– Die alabasterhaften Göttinnen sind Fleisch geworden, aber des Menschen Sehnsucht nach Statuen lebt fort — der Mensch glaubt nur an die unerreichbaren Paradiese und an die unbeseelten Götter, und so ist das angebetete Fleisch wieder Stein geworden.
Liebe – Erotik und Fleischeslust
Die Erregung, die sich Natalis bei der Beschwörung dieser Bilder bemächtigte, hatte zwiefachen Ursprung: teil hatten an ihr sowohl die noch nahe Erinnerung an die aufregenden Schwärmereien ihrer Schulzeit als auch die Sinnestaumel später in den Anprobesalons. Sie dachte, dass sie sich selbst gern in ein Kunstwerk verwandeln würde und dass es gut wäre, wenn sie, die bei ihrer Ankunft in Bangkok noch ungeformter Ton war, hier ihre Form finden könnte (sie dachte dabei weniger an die Form des Körpers — den ändern zu wollen sie keinen Anlass sah – als an die Formen des Geistes). Und obgleich sie sich nicht konkret vorstellte, worin diese Vollendung bestehen sollte, wünschte sie sich doch, ihr Leben möge eines Tages etwas so Kostbares und Wohlgelungenes werden, wie es die raffinierte Frisur dieser bronzefarbenen Haare war, etwas so Triumphierendes wie diese perlmuttgrau schimmernden Augen, etwas das Urteil der Menge so Geringschätzendes wie dieses Kostüm, dessen Schnitt eine einzige Herausforderung der Linien des Körpers war und das am Hals nur um den Preis einer schwierigen Armbewegung geschlossen bleiben zu können schien, ein Kunstwerk, dessen einzige reizvolle Aufgabe darin gesehen werden mußte, die Niederlage der Elemente und das Scheitern der Konventionen an der selbstherrlichen Phantasie der weiblichen Launen durch eine fröstelnde Bewegung in diesem sengend heißen Klima zu bezeugen. Bevor Viennas Mutter Zeit gefunden hatte, die Neuangekommene vorzustellen, erhob sich Vienna und zog Natali in eine Ecke des Salons, wo man sie nicht hören konnte. Ich habe einen Mann für dich, sagte sie und schien befriedigt, als habe sie eine Mission erfüllt. Natali lachte hellauf. Das nenne ich aber eine Neuigkeit! Und du hast eine Art, sie zu verkünden! Was soll ich mir darunter vorstellen — ein Mann für mich? Er ist Italiener und sehr schön. Ich kenne ihn seit langem, aber ich war mir bisher nicht sicher, ob er das ist, was du brauchst. Ich habe nachgedacht. Er ist genau das richtige für dich. Du musst ihn so bald wie möglich kennenlernen. Die Dringlichkeit, mit der Vienna das vorbrachte, belustigte Natali von neuem. Sie war sich keineswegs sicher, ob der Kandidat, wer immer er war, wirklich das war, was sie brauchte, aber sie wollte ihren kleinen Vormund nicht enttäuschen. Wenn sie schon keine Dankbarkeit für diesen Vorschlag empfand, so wollte sie doch wenigstens ihr Interesse bekunden: Wie ist er denn, dein schöner Mann? fragte sie.
Ein florentinischer Marquis vom Scheitel bis zur Sohle. Bestimmt hast du noch nie einen so gut aussehenden Mann getroffen. Schmal, groß, Adlernase, schwarze, durchdringende und tiefgründige Augen, dunkler Teint, ein markantes Gesicht Na, na! Du brauchst mir ja nicht zu glauben, aber wartest nur, bis du ihn gesehen hast, dann wirst du nicht mehr so dumm lachen. Er ist auch im Zeichen des Löwen geboren. Wer denn sonst noch? Susi und ich. Ah! Und …
Aber er hat schwarzes, glänzendes Haar wie du. Mit leicht silbergrauen Schläfen, sehr schick. Graues Haar! Aber dann ist er ja zu alt für mich! Keineswegs. Er hat genau das richtige Alter für dich: er ist doppelt so alt wie du, achtunddreißig. Deshalb sage ich dir ja, du musst dich Lingilen: nächstes Jahr bist du zu alt. Außerdem ist er nächstes Jahr nicht mehr hier. Was macht er denn in Bangkok? Nichts. Er ist sehr intelligent. Er reist viel, er kennt das ganze Land. Er macht Ausgrabungen in den Ruinen, interessiert sich für das Alter der Buddhastatuen. Im Museum hat er sogar Sachen gefunden, die der gute Mann, der es leitet, noch nie gesehen hatte. Ich glaube, er schreibt ein Buch darüber. Aber, wie ich dir schon sagte, eigentlich tut er nichts. Unvermittelt unterbrach Natali Vienna: Sag mal, wer ist eigentlich diese tolle Person da? Tolle Person? Die, die gerade gekommen ist. Gekommen, wo? Hierher, Vienna! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Da, sieh doch, direkt vor dir …
Ach, du meinst Bi. Wie heißt sie? Bi! Was findest du daran so ungewöhnlich? Sie heißt wirklich Bi? Komischer Name! Oh, das ist gar kein Name. Auf Englisch bedeutet es Biene. Es schreibt sich mit einem b und zwei e. Ich schreibe es lieber mit einem b und einem i, das ist klarer. Aber sie, wie schreibt sie es denn? Ganz wie ich es verlange. Hör mal, alles was recht ist, Vienna! Du kannst dir doch selbst denken, dass das nicht ihr richtiger Name ist. Ich habe ihn ihr gegeben, und wie sie richtig heißt, haben jetzt alle vergessen. Aber ich würde es gern wissen. Was hast du schon davon? Du würdest ihn ja doch nicht aussprechen können. Es ist einer dieser verrückten, skurrilen englischen Namen. Aber ich kann sie doch nicht mit Bi anreden! Du brauchst sie ja gar nicht anzureden. Natali sah Vienna erstaunt an. Sie zögerte einen Augenblick und begnügte sich dann mit der Frage: Ist sie Eng- länderin? Nein, Amerikanerin. Aber sei ganz beruhigt, sie spricht Französisch wie du und ich. Sie hat nicht einmal einen Akzent, gar nichts Exotisches.
Fleischeslust muss warten, ist Bi sexuell auf abwegen
eine neue Frau, es wird alles noch komplizierter