Archive for Februar 2010

Erotik zu spüren

Februar 19, 2010

Rückblick:– Die alabasterhaften Göttinnen sind Fleisch geworden, aber des Menschen Sehnsucht nach Statuen lebt fort — der Mensch glaubt nur an die unerreichbaren Paradiese und an die unbeseelten Götter, und so ist das angebetete Fleisch wieder Stein geworden.

Liebe – Erotik und Fleischeslust

Die Erregung, die sich Natalis bei der Beschwörung dieser Bilder bemächtigte, hatte zwiefachen Ursprung: teil hatten an ihr sowohl die noch nahe Erinnerung an die aufregenden Schwärmereien ihrer Schulzeit als auch die Sinnestaumel später in den Anprobesalons. Sie dachte, dass sie sich selbst gern in ein Kunstwerk verwandeln würde und dass es gut wäre, wenn sie, die bei ihrer Ankunft in Bangkok noch ungeformter Ton war, hier ihre Form finden könnte (sie dachte dabei weniger an die Form des Körpers — den ändern zu wollen sie keinen Anlass sah – als an die Formen des Geistes). Und obgleich sie sich nicht konkret vorstellte, worin diese Vollendung bestehen sollte, wünschte sie sich doch, ihr Leben möge eines Tages etwas so Kostbares und Wohlgelungenes werden, wie es die raffinierte Frisur dieser bronzefarbenen Haare war, etwas so Triumphierendes wie diese perlmuttgrau schimmernden Augen, etwas das Urteil der Menge so Geringschätzendes wie dieses Kostüm, dessen Schnitt eine einzige Herausforderung der Linien des Körpers war und das am Hals nur um den Preis einer schwierigen Armbewegung geschlossen bleiben zu können schien, ein Kunstwerk, dessen einzige reizvolle Aufgabe darin gesehen werden mußte, die Niederlage der Elemente und das Scheitern der Konventionen an der selbstherrlichen Phantasie der weiblichen Launen durch eine fröstelnde Bewegung in diesem sengend heißen Klima zu bezeugen. Bevor Viennas Mutter Zeit gefunden hatte, die Neuangekommene vorzustellen, erhob sich Vienna und zog Natali in eine Ecke des Salons, wo man sie nicht hören konnte. Ich habe einen Mann für dich, sagte sie und schien befriedigt, als habe sie eine Mission erfüllt. Natali lachte hellauf. Das nenne ich aber eine Neuigkeit! Und du hast eine Art, sie zu verkünden! Was soll ich mir darunter vorstellen — ein Mann für mich? Er ist Italiener und sehr schön. Ich kenne ihn seit langem, aber ich war mir bisher nicht sicher, ob er das ist, was du brauchst. Ich habe nachgedacht. Er ist genau das richtige für dich. Du musst ihn so bald wie möglich kennenlernen. Die Dringlichkeit, mit der Vienna das vorbrachte, belustigte Natali von neuem. Sie war sich keineswegs sicher, ob der Kandidat, wer immer er war, wirklich das war, was sie brauchte, aber sie wollte ihren kleinen Vormund nicht enttäuschen. Wenn sie schon keine Dankbarkeit für diesen Vorschlag empfand, so wollte sie doch wenigstens ihr Interesse bekunden: Wie ist er denn, dein schöner Mann? fragte sie.
Ein florentinischer Marquis vom Scheitel bis zur Sohle. Bestimmt hast du noch nie einen so gut aussehenden Mann getroffen. Schmal, groß, Adlernase, schwarze, durchdringende und tiefgründige Augen, dunkler Teint, ein markantes Gesicht Na, na! Du brauchst mir ja nicht zu glauben, aber wartest nur, bis du ihn gesehen hast, dann wirst du nicht mehr so dumm lachen. Er ist auch im Zeichen des Löwen geboren. Wer denn sonst noch? Susi und ich. Ah! Und …
Aber er hat schwarzes, glänzendes Haar wie du. Mit leicht silbergrauen Schläfen, sehr schick. Graues Haar! Aber dann ist er ja zu alt für mich! Keineswegs. Er hat genau das richtige Alter für dich: er ist doppelt so alt wie du, achtunddreißig. Deshalb sage ich dir ja, du musst dich Lingilen: nächstes Jahr bist du zu alt. Außerdem ist er nächstes Jahr nicht mehr hier. Was macht er denn in Bangkok? Nichts. Er ist sehr intelligent. Er reist viel, er kennt das ganze Land. Er macht Ausgrabungen in den Ruinen, interessiert sich für das Alter der Buddhastatuen. Im Museum hat er sogar Sachen gefunden, die der gute Mann, der es leitet, noch nie gesehen hatte. Ich glaube, er schreibt ein Buch darüber. Aber, wie ich dir schon sagte, eigentlich tut er nichts. Unvermittelt unterbrach Natali Vienna: Sag mal, wer ist eigentlich diese tolle Person da? Tolle Person? Die, die gerade gekommen ist. Gekommen, wo? Hierher, Vienna! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Da, sieh doch, direkt vor dir …
Ach, du meinst Bi. Wie heißt sie? Bi! Was findest du daran so ungewöhnlich? Sie heißt wirklich Bi? Komischer Name! Oh, das ist gar kein Name. Auf Englisch bedeutet es Biene. Es schreibt sich mit einem b und zwei e. Ich schreibe es lieber mit einem b und einem i, das ist klarer. Aber sie, wie schreibt sie es denn? Ganz wie ich es verlange. Hör mal, alles was recht ist, Vienna! Du kannst dir doch selbst denken, dass das nicht ihr richtiger Name ist. Ich habe ihn ihr gegeben, und wie sie richtig heißt, haben jetzt alle vergessen. Aber ich würde es gern wissen. Was hast du schon davon? Du würdest ihn ja doch nicht aussprechen können. Es ist einer dieser verrückten, skurrilen englischen Namen. Aber ich kann sie doch nicht mit Bi anreden! Du brauchst sie ja gar nicht anzureden. Natali sah Vienna erstaunt an. Sie zögerte einen Augenblick und begnügte sich dann mit der Frage: Ist sie Eng- länderin? Nein, Amerikanerin. Aber sei ganz beruhigt, sie spricht Französisch wie du und ich. Sie hat nicht einmal einen Akzent, gar nichts Exotisches.

Fleischeslust muss warten, ist Bi sexuell auf abwegen

eine neue Frau, es wird alles noch komplizierter

Feuchte Träume

Februar 5, 2010

Rückblick:–  Aber es klang, als hätte sie kein Verlangen danach. Weißt du, erklärte sie, mit den Männern ist es gar nicht immer so aufregend. Sie tun einem mit ihrer Härte manchmal sogar weh. Sie wissen nicht einmal immer, wie sie es anstellen müssen, um uns die höchste Lust zu verschaffen …

Seltsame Gefühle und feuchte Träume

So paradox es war, es gab nur eine Art von Geständnissen, zu denen sich Natali dem jungen Mädchen gegenüber nicht überwinden konnte. Sie spielte höchstens gelegentlich ungeschickt darauf an, ohne sich darüber im Klaren zu sein, ob Vienna überhaupt verstand. Sie wusste selbst keine Erklärung für ihre Schüchternheit und Zurückhaltung, wozu das Verhalten ihrer Besucherin doch keinerlei Anlass zu geben schien. Sobald Vienna da war, zog sie sich aus: und als Natali vorschlug, sie solle doch auch ihre Bluse ausziehen, hatte sie nicht einmal dagegen etwas einzuwenden gehabt, und von nun an verbrachten die beiden Mädchen ihre Rendezvous völlig nackt auf der von Laubwerk umrankten Terrasse. Die Erregung, die Natali in diesen Stunden empfand, führte jedoch nur dazu, dass sie sich selbst noch häufiger streichelte: denn weder traute sie sich, ihre Freundin zu berühren noch diese aufzufordern, sie zu berühren, und dabei sehnte sie sich so sehr danach, dass es ihr den Schlaf raubte. Seltsame Gefühle, keusche und dann wieder ganz schamlose, stritten in ihr. Schließlich fragte sie sich verwirrt und nicht gewillt, darüber nachzudenken, ob diese ihr ungewohnte Zurückhaltung nicht sogar eine höhere Form der Raffinesse war, die ihre Sinne unbewußt entwickelt hatten, und ob nicht vielleicht der Verzicht auf Viennas Körper, zu dem sie sich gegen jeden Instinkt unsinnigerweise zwang, am Ende einen subtileren und perverseren Reiz besaß als eine körperliche Umarmung, so dass für Natali eine Situation, unter der sie eigentlich hätte leiden müssen — ein kleines Mädchen verfügte über sie nach Lust und Laune, ohne den Gelüsten ihrer Partnerin auch nur im geringsten entgegenzukommen —, zu einem unerwarteten Quell sinnlicher Lust wurde.
So wie ihr aus der versagten Befriedigung eines sinnlichen Begehrens, das ihr von jeher ganz natürlich erschienen war, eine bisher unbekannte Wollust erwuchs, offenbarte sich ihr durch das tiefe Schweigen ihrer kleinen Freundin über ihr eigenes sexuelles Erleben ein neues Element der Erotik. Als Natali merkte, wie gelassen sie es hinnahm, nichts — oder fast nichts — von Vienna zu wissen, wurde ihr bewußt, dass ihr Geist und ihr Körper mehr Lustgewinn daraus zogen, einer andern den Anblick der Unzucht darzubieten, als wenn sie selbst die Zuschauerin gewesen wäre.
Und wenn sie mit jedem Tag ungeduldiger auf ihre Freundin wartete, so weniger wegen der Erregung, die sie bei der Betrachtung ihrer Nacktheit oder als Augenzeugin ihrer lasziven Spiele empfand, als wegen der viel köstlicheren, weil obszöneren Erregung, die ihr zuteil wurde, wenn sie sich, unter den aufmerksamen Blicken Viennas, in ihrem Liegestuhl selbst liebkoste. Auch wenn Vienna schon gegangen war, blieb der Zauber ungebrochen: Natali sah die grünen Augen vor sich, die auf ihr Geschlecht starrten, und so blieb sie, in ihr Spiel mit sich selbst versunken, bis zum Abend liegen. In der darauffolgenden Woche wurde Natali von Viennas Mutter zum Tee eingeladen. In dem prätentiösen Salon fand sie ungefähr zehn Damen vor, die ihr alle gleich nichtssagend erschienen. Schon bedauerte sie, mit ihrer Vertrauten nicht allein sein zu können, die auf dem Teppich saß und sich ganz als die wohlerzogene Tochter des Hauses gab, als ihr Interesse durch die Ankunft einer sehr eleganten jungen Frau geweckt wurde, die in dieser Gesellschaft auf den ersten Blick ebenso deplaciert schien wie sie selbst. Die Hereintretende erinnerte Natali an die Pariser Mannequins, die sie immer bewundert hatte. Sie war hochgewachsen wie diese. Ihre steinernen Züge zeigten den gleichen undefinierbaren Überdruss, die gleiche gespielte Distanziertheit gegenüber Vertraulichkeiten. Der gleich einer Rose halboffene Mund, die bernsteinfarbenen Augenbrauen, die sich über den großen Augen wölbten, die zärtlich geschwungenen Wimpern verliehen diesem Gesicht eine so unwahrscheinliche Arglosigkeit, dass es einer Herausforderung gleichkam. Mit einem gewissen Hochmut sagte sich Natali, dass sie hier vermutlich die einzige war, die dank ihrer Erfahrung, wie sie es nannte, zu begreifen vermochte, welche Bescheidenheit im Grunde einem so absoluten Streben nach Vollkommenheit innewohnte, wie verdienstvoll eine so anspruchsvolle Auffassung von der Pflicht zur Schönheit, wie bestrickend eine so große, unter dem gleichgültigen Perlmuttblick verborgene Leidenschaft war. Und sie erinnerte sich, auch auf den Masken ihrer Freundinnen, die den stolzesten Denkmälern nachgebildet waren, das gesehen zu haben, was Baudelaire mit der Verdammung der Bewegung, welche die Linien verschiebt, hatte sagen wollen. Die alabasterhaften Göttinnen sind Fleisch geworden, aber des Menschen Sehnsucht nach Statuen lebt fort — der Mensch glaubt nur an die unerreichbaren Paradiese und an die unbeseelten Götter, und so ist das angebetete Fleisch wieder Stein geworden.

bis zum nächsten mal, wenn du noch weiterlesen möchtest…….
küsschen